|
In den vergangenen Monaten haben wir die „Vorarbeit“ ausführlich
beschrieben und nun schon etliche Trainingstage damit verbracht,
unser Pferd auf die Arbeit unter dem Sattel vorzubereiten: Wir
versuchten, ein Vertrauens-/Respekt- Verhältnis aufzubauen, das
Pferd an bestimmte Dinge zu gewöhnen und mit bestimmten Bodenarbeitsübungen
auf die Reiterhilfen einzustimmen. Das Pferd wurde nun schon einige
Einheiten vom Boden aus mit Reiter geführt und duldet, dass wir
sicher aufsteigen und uns im Sattel bewegen. Wenn wir nun „von
Oben“ die ersten Schritte verlangen, ist es wichtig, mit Gefühl
und Konzept vorzugehen.
Dabei spielt die laterale Kontrolle durch den direkten Zügel eine
wichtige Rolle. Wenn ich aufgestiegen bin und das erste Mal vorsichtig
versuchen möchte, das Pferd zu bewegen, nehme ich immer den linken
Zügel (Zäumung Sidepull) und fordere das Pferd auf, dem Zug etwas
nachzugeben.
Die ersten Schritte mit Reiter: Laterale Kontrolle durch den
direkten Zügel
Durch unsere Vorarbeit vom Boden aus dürfte es in der Regel kein
Problem sein, den Kopf etwas abzustellen. Erst dann vordere ich
das einwärts gestellte Pferd durch vorsichtiges Schnalzen und
etwas Schenkeldruck auf, sich einige Tritte zu bewegen. Warum
gerade nach links? – Auch wenn man immer versucht, Pferde wirklich
beidseitig gleichmäßig zu arbeiten, so steht man doch öfters links
neben einem Pferd als recht. Es ist ein Ritual, dass jedes Pferd
bei mir seine ersten Schritte mit Reiter nach links in einen Kreis
macht.
„Sollte das Pferd trotz unserer Vorarbeit unerwartet erschrecken,
klemmen und doch durchstarten wollen, kann ich das bereits einwärts
gestellte Pferd viel besser mit dem direkten Zügel anhalten.“
Das Anhalten würde mir deutlich schwerer fallen, wenn das Pferd
gerade ist, da es sich dabei viel leichter festmachen und durchstarten
kann – daher beginne ich lieber auf einer Volte. In der Regel
braucht es etwas Aufforderung, bis es sich wirklich einige Tritte
vorwärts bewegt. Diese Aufforderung sollte dosiert und mit viel
Gefühl geschehen! Meist zögert das Pferd ein wenig und geht dann
doch vorsichtig und etwas verunsichert zwei bis drei Schritte.
Es ist meistens so, dass das Pferd nach wenigen Tritten wieder
von alleine stehen bleibt. Jetzt steige ich ab, führe das Pferd
ein paar Schritte und wiederhole den Vorgang.
„Warum steige ich nun schon wieder ab? Ich möchte dem Pferd
vom ersten Tag an zeigen, dass Anhalten etwas ‚Tolles‘ ist!“
Natürlich handelt es sich hierbei um ein selbständiges Anhalten
durch das Pferd, das später ganz und gar nicht erwünscht ist.
Doch wie schon erwähnt, läuft Jungpferdetraining etwas anders
ab und Hilfen verändern sich. Der Vorteil des selbständigen Anhaltens
beim ersten Reiten liegt auch darin, dass ich nun erneut das ‚In
den Schritt gehen‘ üben kann. So kann ich durch Wiederholungen
ein erstes Lernziel verfolgen. Es ist ja auch sinnvoller, mit
dem jungen Hund in einem kurzen Zeitraum das Kommando ‚Platz‘
zu wiederholen, anstatt ihn zwei Stunden auf seinem Platz liegen
zu lassen!
Das Lernziel der ersten Tage
Was ist genau das Lernziel der ersten Tage? Klar, dass Pferd soll
Vertrauen zum ‚Piloten‘ bekommen und spüren, dass wir von oben
ähnliche Hilfen wie von unten anwenden. Neu ist eigentlich nur
die Übung ‚in den Schritt reiten‘ und Schenkelhilfen, die den
Rumpf etwas kontrollieren und begrenzen sollen. Mir ist es nun
sehr wichtig, dass ich mit dem direkten Zügel Einfluss auf die
Stellung des Pferdes bekomme und der Rest des Pferdekörpers (Schulter,
Hüfte) der Nase folgt. Wie schon erwähnt, ist jedoch nicht die
Nase die Lenkung, sondern die Schulter! Also stelle ich zuerst
das Pferd etwas einwärts, treibe es mit beiden Schenkeln vorsichtig
in den Schritt und hoffe, dass der Rumpf der Nase folgt. Aber
meistens geschieht das nicht, und das Pferd ‚eiert‘ anfangs über
die Schulter. Wenn das passiert, nehme ich den inneren Schenkel
sofort weg, treibe weiter vorsichtig mit dem äußeren Schenkel
und zwar so lange, bis auch die Schulter ‚in Richtung Nase‘ läuft.
Und wie immer hört jeder Druck sofort auf, wenn das Pferd richtig
reagiert.
„Sehr bald wird das junge Pferd lernen, dass ein Laufen über
die Schulter zu einem Druck führt, den es selbständig beenden
kann. Und zwar dann, wenn es seiner Nase nachläuft!“
Viel reiterliche Erfahrung und sehr gutes Einfühlungsvermögen
entscheidend
Gerade hier zeigt sich der Unterschied zwischen erfahrenen Reitern
und Anfängern. Sehr gutes Timing und eine entsprechend feinfühlige
Dosierung der Hilfen ist unbedingt notwendig. Sinnloses Hauen,
frühzeitiges Einsetzten oder gar Kicken der Sporen an der Schulter
kann zwar auch zu einem vermeintlich zufriedenstellenden Ergebnis
führen, jedoch stets auf Kosten der mentalen Zufriedenheit. Deshalb
ist es oft besser, dem Pferd mit dem aktiven begrenzenden Schenkel
eine Aufgabe zu stellen und den leicht ansteigenden Druck so lange
bestehen zu lassen, bis es die Lösung (Weichen) gefunden hat,
statt beim kleinsten Missverständnis Gewalt anzuwenden. Also steuere
ich das Pferd bei den ersten Versuchen primär am direkten Zügel
mit Hilfe des äußeren Schenkels. Natürlich lege ich den begrenzenden
äußeren Zügel auch schon an. Zu diesem Zeitpunkt hat der äußere
Zügel bei mir jedoch nur eine Alibifunktion und wird erst einige
Tage später „installiert“, also ernsthaft eingesetzt.
Zehn Minuten reichen am Anfang
Die ganze Einheit dauert erst einmal nur rund zehn Minuten. In
dieser Zeit verlange ich nichts anderes vom Pferd, als den Reiter
ein paar Schritte entspannt zu tragen. Immer wieder führe ich
dabei den direkten Zügel etwas zur Seite, stelle also den Kopf
in eine Richtung und lege den indirekten Zügel mit an den Hals.
Wenn das Pferd gut reagiert hat und dem direkten Zügel gefolgt
ist, gebe ich die Zügel nach, damit das Pferd sich strecken und
entspannen kann. Dabei kann es dann natürlich auch einige Meter
wieder gerade laufen.
„Das Pferd soll sich vom ersten Tag an abstrecken können!
Diese Möglichkeit sollten wir ihm geben!“ Was jedoch nicht
bedeutet, die Zügel dann so lang zu lassen, dass wir sie im Ernstfall
erst wieder minutenlang einsammeln müssten. Besser ist es, die
Arme zu strecken und dadurch Zügel zu geben. Abstrecken bedeutet
aber auch nicht, den Kopf in den Sand zu stecken und sich aus
dem Sattel zu hebeln. Kommt es nun doch vor, dass das Pferd sich
im Hals und Rücken fest macht, lenke ich es weich mit dem direkten
Zügel in einen Kreis, bis es im Hals locker wird, und lasse es
dann sofort wieder raus!
Das erste Anhalten
Mit dem ersten Anhalten habe ich durch das Fahren vom Boden in
der Regel keine Probleme. Geht das Pferd entspannt und ruhig vorwärts,
setze ich mich etwas tiefer in den Sattel, bringe etwas Druck
in die Bügel, sage ‚Whow‘ und nehme langsam die Zügel auf. Weil
es durch unsere Vorarbeit gelernt hat, dem Druck zu weichen und
ihm dieser Vorgang bekannt vorkommt, wird es anhalten und bei
anstehendem Druck einige Tritte Rückwärts machen. Das verlange
ich vom ersten Tag an, und oftmals auch, wenn das zögerliche Pferd
einmal von selbst stehen geblieben ist: immer wieder leicht aufnehmen
und das Pferd durch Druck auf die Nase ein wenig rückwärts treten
lassen, Schritt für Schritt! In dieser Lernphase ist es besser,
fünf einzelne Schritte rückwärts separat zu fordern, als fünf
Schritte am Stück zu gehen!
„Das Rückwärts ist so wichtig, schafft Kontrolle und ein gutes
Gefühl. Daran sollten wir vom ersten Tag an arbeiten.“
Vorsicht: ‚Kettenreaktionen‘ unbedingt vermeiden!
Ein Problem, das nicht selten die ersten Tage auftreten kann,
ist eine unerwartete Kettenreaktion. Davon kann ich ein Lied singen:
Man sitzt gerade erstmals auf einem jungen Pferd, eiert vorsichtig
durch die Halle und bemüht sich, weiche Hilfen zu geben, da springt
der („sonst macht er das nie“) Hund eines Zuschauers die Band
von außen hoch und teilt akustisch seine unüberhörbare Begeisterung
mit. Ein weiteres Beispiel, das ich bei der Jungpferdearbeit liebe,
ist das plötzliche Aufreissen der Hallentür und eine anschließende
Kettenreaktion des Jungpferdes mit dreifachem, leider nicht gestandenem
Rittberger des Trainers. Meist vergeht noch ein Moment und ich
bin gerade dabei mir den Sand aus den Augen zu entfernen, bevor
ein höfliches „Tür frei“ erklingt. Richtig große Freude kommt
dann noch auf, wenn die sachkundige Feststellung „Oh, der ist
wohl noch jung!“ kommt.
Rücksichtnahme gehört zum Ehrenkodex!
Warum nenne ich diese zwei Beispiele? – Ich will damit sagen,
dass man auf jeden Reiter mit einem jungen Pferd Rücksicht nehmen
sollte! Wir brauchen nicht die Ruhe wie auf einem Tennisplatz,
aber bestimmte Dinge sollten wir gerade bei den ersten ‚Gehversuchen‘
unbedingt vermeiden. Dazu gehört z.B. auch das allzu knappe Vorbeireiten
an Jungpferden und das Knallen der Gerte! Es gibt nicht wenige
Leute, die nun denken, dass ich mein Pferd dann besser auf diese
Dinge vorbereiten solle. Doch ess gibt trotz guter Vorbereitung
immer wieder Tiere, die sehr unsicher sind und auch mal heftig
reagieren. Deshalb sollte Rücksicht mehr als selbstverständlich
sein, zur Sicherheit aller Beteiligten!
Ohren als Stimmungsanzeiger
Und wenn wir nun bei Missverständnissen sind, kommen wir gleich
zum nächsten Punkt. So wie es ängstliche Tiere gibt, so gibt es
gelegentlich auch dominante Pferde, die nicht selten auch noch
etwas faul und träge sind und sich vom Sattel aus nicht bewegen
lassen wollen. Sie quittieren ein Treiben mit Ohren Anlegen, Hals
Hochreissen oder auch Beißen in den Steigbügel.
„Deshalb beim ersten Reiten nicht voraus, sondern auf die
Ohren des Pferdes schauen!! Sie zeigen in der Regel an, was gleich
passieren könnte!“
Weniger ist mehr – dafür gezielt trainieren
Länger als zehn bis zwanzig Minuten sitze ich während den ersten
zwanzig Trainingseinheiten unter dem Sattel selten auf dem Pferderücken.
Mehr ist einfach nicht nötig und sogar oft kontraproduktiv, denn
Pferde können sich in diesem Alter nur sehr kurz konzentrieren.
Hinzu kommt, dass der Tragapparat erst langsam an die Belastung
gewöhnt werden muss. Man kann sich mit dem Pferd sicher 30 bis
40 Minuten beschäftigen. Auch mal eine Stunde spazieren zu laufen
schadet natürlich nicht. Aber die effektive Lernzeit sollte nicht
mehr als zehn Minuten betragen! Deshalb ganz am Anfang kürzer
und gezielter an wenigen Dingen arbeiten.
Serie Starting Colts
Teil
1: Systematisches und schonendes Training für junge Pferde
Teil
2: Die Voraussetzungen beim Pferd, den Trainingsmöglichkeiten
und dem Equipment
Teil
3: Erste Bodenarbeit und Hufe Geben
Teil
4: Zielorientierte Bodenarbeit als Vorbereitung zum Anreiten
Teil
5: Gewöhnung an Sattel, Reitergewicht und Trense sowie das Fahren
vom Boden
Fortsetzung folgt…
Quelle:
Stefan
Ostiadal
Fragen? Die 20 wittelsbuerger.com-Experten helfen gerne weiter,
z.B. Petra Roth-Leckebusch für den Bereich Zucht.
Zum
wittelsbuerger.com-Expertenforum gelangen Sie hier.
|